15 – 20 – 25 Minuten?

Wieviel Zeit kann sich ein Therapeut für seine Klienten nehmen? Wie sieht die Wirtschaftlichkeit hinter dieser Entscheidung aus? Und wieviel Zeit braucht Qualität in der Behandlung?

Fakt ist, dass Praxen, die mit den gesetzlichen Krankenkassen zusammen arbeiten in diesen Zeitfenstern arbeiten müssen, da diese vertraglich vorgeben, wieviel Zeit für eine Behandlung einberechnet werden darf und wie diese vergütet wird. Es wird immer derselbe Satz bezahlt – egal, ob der Therapeut 15 oder 25 Minuten für die Behandlung einplant. Nach neuesten Anpassungen, die sogenannten deutschlandweiten einheitlichen Höchstpreise – sind es für Krankengymnastik 21,11€.

So lässt es sich leicht errechnen, was der wirtschaftliche Faktor ausmacht, wenn die Entscheidung fällt, nicht im 25-Minuten-Takt sondern im 20- oder 15-Minuten-Takt zu behandeln. 

Bei 4 Behandlungen in einer Stunde erwirtschaftet der vollzeitarbeitende Therapeut pro Monat 12.000€ (4 x 7,5Stunden pro Tag x 20 Arbeitstage pro Monat x 20€ durchschnittliche Vergütung pro Behandlung). 

Bei 3 Behandlungen pro Stunde erwirtschaftet der Therapeut pro Monat durchschnittlich 9.000€. 

Bei 2,4 Klienten pro Stunde (25-Minuten-Takt) erwirtschaftet der Therapeut durchschnittlich pro Monat 7.200€ pro Monat. 

Die Wirtschaftlichkeit würde definitiv einen 15-Minuten-Takt vorschlagen, um Mitarbeiter vernünftig bezahlen und unterstützen zu können, aber auch noch ein Plus auf dem Konto des Inhabers am Ende des Monats zu sehen.

Doch es gibt auch noch die zwischenmenschliche Ebene, die in unserem Beruf einen großen Stellenwert hat. 

Wir alle arbeiten als Physiotherapeuten, weil wir uns für den einzelnen Menschen interessieren, für seine Symptome, Syndrome und Diagnosen und ihm bei seinem Weg zu mehr Gesundheit begleiten möchten. Doch ist dieses noch möglich, wenn wir den achten Klienten nach zwei Stunden verabschieden? 

Ich spreche aus meinem Herzen ganz ehrlich und sage, dass ich nicht mehr bei diesem achten Klienten bin, sondern noch über den fünften nachdenke oder schon 8 Minuten in zeitlichem Verzug bin und denke „Wie soll ich diese Zeit wieder reinholen?“ Die 75jährige Klientin der dritten Behandlung konnte sich leider mit ihrer neuen Hüft-TEP nicht schneller anziehen und die Erstanamnese der fünften Einheit konnte ich nicht nach 18 Minuten abbrechen, da die Hintergründe einfach komplexer waren und 25 Minuten brauchten.

Wir stehen ständig zwischen der Zeit und der Menschlichkeit!

Dann gibt es da noch eine dritte Komponente – die Qualität der Behandlung. Durch meine mir erworbenen Kompetenzen in meiner Berufslaufbahn mit den jeweiligen Fortbildungen und Berufserfahrung, bin ich wissender und erfahrender geworden und dieses Wissen und diese Erfahrung möchte ich an den Klienten weitergeben. Doch die Vermittlung von Wissen, damit der Klient selbstverantwortlich handeln kann, braucht Zeit für Worte und Fragen. Auch mit Unterstützung durch Rezeptionsmitarbeitern und klarer Praxisstruktur schaffe ich es nicht den Therapieplan in dieses Zeitkontingent zu „drücken“. 

Irgendwann hat es bei mir zu einer Frustration und für meinen persönlichen Anspruch, Verschlechterung der Qualität geführt. Am Ende des Tages fühlte ich eine große körperliche und psychische Ausgelaugtheit, die man in jüngeren Physiojahren vielleicht noch besser verkraftet und am nächsten Tag wieder motiviert ist. Doch nach Jahren des „abbehandelns“ ist das was mein Therapeutenherz sich wünscht für mich immer schwieriger geworden. 

Viele Ideen gibt es, um etwas mehr Zeit für die Behandlung des Einzelnen zu bekommen, doch diese sind leider alle nicht legal praktikabel als Vertragspartner der gesetzlichen Krankenkassen(GKV). Therapieeinheiten zusammenlegen, privat finanzierte Therapiezeitverlängerung anbieten oder Zusatzzeit als Massage verkaufen ist keine Option, da wir immer rechtliche oder steuerrechtliche Konsequenzen zu verantworten haben.

Also, was bleiben uns für Möglichkeiten, die den Anspruch an die Therapie und unseren eigenen Anspruch an uns selbst gerecht werden?

Wir müssen fokussiert arbeiten! Die Hauptdiagnose muss in den Hauptfokus gesetzt werden. Therapieplan, Behandlung und Eigenübungsprogramm werden auf diesen Fokus aufgebaut. 

Persönliche Belange des Klienten, wie der Familienstreit oder die Trauer über einen verlorenen Menschen müssen (leider) erstmal in den Hintergrund gestellt werden, obwohl diese vielleicht (oder sicher) auch Einfluss auf die Diagnose hatten oder auf den Behandlungsverlauf wirken. Außerdem darf der Therapeut sich nicht zu viel in eigene persönliche Erzählungen und Erfahrungen verlieren. Das klingt alles erstmal herzlos, doch wenn wir uns nicht immer in der Zwinge zwischen Zeit und Menschlichkeit begeben möchten, ist es wichtig eine klare Linie zu fahren.

Wir haben heute noch eine andere Möglichkeit dem interessierten Klienten eine Möglichkeit zu geben das Anliegen der eigenen Diagnose holistischer anzugehen. Es gibt derzeit noch keinen wirklichen Direktzugang zur Physiotherapie, das heißt kein Klient kann ohne Diagnose vom Arzt Physiotherapie über die GKV finanziert bekommen. Doch es gibt die Möglichkeit dem Klienten anzubieten über den Heilpraktiker für Physiotherapie (sog. sektoralen Heilpraktiker für Physiotherapie) zu behandeln. Dieser ist über einige privaten oder Zusatzversicherungen teilweise vergütungsfähig. Doch der größte Teil ist privat zu leisten. In dieser Weise ist es uns möglich eigene Diagnosen zu stellen und den Behandlungsplan selbst zu bestimmen. Das bedeutet für den Klienten allerdings immer „Eigenanteil“. Vielen Menschen ist es das Wert ohne Verordnung vom Arzt direkt zum Physiotherapeuten gehen zu können und ohne lange Wartezeiten einen Befund, Behandlung und Begleitung im Behandlungsverlauf zu bekommen.

Im Moment bedeutet es, dass der Physiotherapeut über eine Zusatzfortbildung diese Kompetenz erwirbt. Jedes Bundesland in Deutschland stellt da leider noch unterschiedliche Vorraussetzungen an den Therapeuten. In Niedersachsen findet eine schriftliche Prüfung am Ende der 6-Tage-Fortbildung statt, in Schleswig-Holstein muss nach dieser 6-Tage-Vorbereitung eine mündliche Prüfung von Extern beim Gesundheitsamt abgeleistet werden. Doch dieser Heilpraktiker für Physiotherapie ist im Moment unsere einzige Möglichkeit unseren Klienten relativ „frei“ zu behandeln. 

Eine andere Möglichkeit wäre noch, den Klienten weiterzuempfehlen an Kollegen, die „anders“ arbeiten, wenn man dieses nicht selbst leisten kann.

Zusammengefasst bedeutet es für uns, dass wir in unserem gewählten Zeitkontingent immer sehr  fokussiert auf das Beschwerdebild arbeiten müssen. Wenn sich ein komplexes Bild beim Klienten zeigt, bieten wir entweder eine Privatleistung im Bereich HP Physio an oder wir geben den Klienten in andere Hände, von denen wir wissen, dass er dort fachlich sehr gut aufgehoben ist.

Wir können nicht allen gerecht werden. Nur mit einer interdisziplinären Denkweise können wir den Klienten wirklich qualitativ gut begleiten!

Ich bin gespannt auf eure Ansichten und weiteren Ideen. Schreibt sie gerne in die Kommentare!

Ich wünsche euch einen spannenden, erfolgreichen Therapietag!